Stolberger Geschichts- und Traditionsverein e. V.
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Otto Erich Hartleben (1864 - 1905)

Titelblatt der ErstausgabeIm Jahre 1895 erschien im S. Fischer Verlag Berlin ein Büchlein, das unter dem Titel „Vom gastfreien Pastor” 3 kleine Geschichten vereinte. Der Verfasser Otto Erich Hartleben war in Künstlerkreisen kein gänzlich Unbekannter, hatte er doch schon seit mehreren Jahren mit mäßigem Erfolg Theaterstücke geschrieben, kleine Erzählungen und Gedichte veröffentlicht. Dem breiten Publikum war er indes unbekannt geblieben und so fand denn auch der „Gastfreie Pastor“ zunächst keine große Beachtung. Das änderte sich allerdings im Jahr 1900, als Otto Erich Hartleben mit dem Theaterstück „Rosenmontag” auf einen Schlag in ganz Deutschland berühmt wurde. Im Sog dieses Erfolges kamen auch seine früheren Stücke wieder ans Tageslicht und man entdeckte, dass beispielsweise die Erzählungen im „Gastfreien Pastor“ höchst vergnüglich zu lesen waren - es sei denn, man fand sich selbst darin wieder. So muss es wohl den Stolbergern gegangen sein, die spätestens jetzt erfuhren, dass in allen 3 Geschichten das kleine Harzstädtchen und seine Bewohner tragende Rollen spielten. Wie kam es dazu?

Otto Erich Hartleben wurde am 3. Juni des Jahres 1864 in Clausthal-Zellerfeld als erstes von 6 Kindern der Eheleute Herrmann und Elwine Hartleben geboren. Seine Eltern verstarben sehr früh, und Otto Erich gelangte in die Obhut seines Großvaters mütterlicherseits, dem Senator Angerstein in Hannover.

Bereits aus der frühesten Schulzeit existieren Berichte über zwei Leidenschaften, die ihn sein ganzes Leben lang begleiten sollten: Alkohol und Bücher. Es blieb nicht dabei, dass er ein Buch nach dem andern verschlang. Schon bald begann er, eigene Stücke zu schreiben. Seinen Wunsch Philosophie zu studieren, konnte er sich nicht erfüllen. Sein Großvater lehnte brotlose Künste rigoros ab und zwang ihn zur Aufnahme eines Jurastudiums. Hartleben musste sich beugen und schrieb sich 1885 an der Universität in Berlin für Jura ein. In dieser Stadt fühlte er sich sofort heimisch. Sein ungeliebtes Studium war nur das notwendige Übel, um die finanziellen Zuwendungen seines Großvaters und vor allem die Aussicht auf das reiche Erbe weiter zu erhalten.

Otto Erich HartlebenIm Frühjahr 1889 begann nach dem bestandenen Examen die Referendarzeit. Zu diesem Zeitpunkt war er 24 Jahre alt. Sein Leben war der Literatur und der Philosophie gewidmet und er selbst dem Alkohol verfallen. Er verabscheute jede Art von Autorität, er hasste alles Reaktionäre und Althergebrachte. Provinzieller Mief einer Kleinstadt drohte ihn zu ersticken. Unter einer Kleinstadt begriff Hartleben Orte wie Weimar, Tübingen, Magdeburg, die er im Laufe seines Studiums kennengelernt hatte.

In dieser Situation kam er als Referendar nach Stolberg. Ein Ort, in dem das Grafengeschlecht derer zu Stolberg seit 700 Jahren regierte und in dem es schien, als sei die Zeit stehen geblieben. Von der übrigen Welt nahezu abgeschnitten und nur mittels Postkutsche zu erreichen, tauchte Hartleben in eine Welt ein, die die Verkörperung all dessen war, was ihm so zuwider war. Erstaunlich jedoch ist, wie Hartleben damit umging. Er schaffte es, sogar hier eine Stammrunde mit Gleichgesinnten zu installieren, wenn auch im allerbescheidensten Rahmen. Sein Aufenthalt in Stolberg währte etwas länger als 9 Monate und irgendwann in dieser Zeit gelang es ihm, die angedrohte Enterbung im Falle eines Studienabbruchs abzuwenden: Als er 1890 in sein geliebtes Berlin zurückkehrte, tat er es nämlich nicht, um sein Studium fortzusetzen, sondern als freier Schriftsteller. Freilich um den Preis der drastisch reduzierten monatlichen großväterlichen Zahlungen.

Er tauchte ein in das Leben der Großstadt und wurde Teil der literarischen Avantgarde. Die Hoffnung auf ein eigenes Einkommen durch seine Schriftstellerei erfüllte sich allerdings nicht und so häufte sich durch seinen Lebensstil langsam aber sicher ein Schuldenberg an. Als 1893 der Großvater starb, war die Erbschaft bitter nötig, um die aufgehäuften Schulden abtragen zu können.

In den folgenden Jahren unternahm Hartleben ausgedehnte Reisen nach Süddeutschland, später dann nach Italien. Nur die Herbst- und Wintermonate verbrachte er in Berlin bei seiner Frau Selma Hesse, die er kurz nach dem Tod des Großvaters geheiratet hatte. Mit der ehelichen Treue nahm er es indes nicht so genau. Auf seinen Reisen begleitete ihn eine Jugendliebe und in München hatte er ein uneheliches Kind. Diese Zeit war geprägt von seiner andauernden Erfolglosigkeit als Schriftsteller. Seine Alkoholsucht hatte gesundheitliche Folgen, die nicht mehr zu übersehen waren. Die Situation begann schwierig zu werden, das geerbte Geld war längst ausgegeben und ein neuer Schuldenberg angehäuft. Förmlich in letzter Sekunde kam die Rettung:
Sein Theaterstück „Rosenmontag” wurde ein Publikumserfolg, mehr noch: eine Sensation. Mit dieser Offizierstragödie traf er genau den Publikumsgeschmack und wurde über Nacht berühmt. Von den Einnahmen kaufte Hartleben Ende des Jahres 1901 die Villa Halkyone in Salo am Gardasee. Allerdings gelang es ihm nicht, die fortan in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen und den Erfolg des Stückes zu wiederholen. Die Auswirkungen der Alkoholsucht wurden immer schwerer. Er selbst ahnte, dass sein Ende bevorstand. Am 11. Februar 1905 starb Otto Erich Hartleben in seiner Villa.

Das Ende eines Dichters, der sein Leben mit kindlicher Unbekümmertheit in vollen Zügen genoss? Auf den ersten Blick scheint es so. Liest man sein Tagebuch und betrachtet seine Photographien, merkt man, dass da etwas nicht stimmen kann.

Ein großer chronischer moralischer Kater besitzt mich. Derart, daß mir der Angstschweiß auf die Stirn tritt, wenn ich mich meinem Schreibtisch nähere und das viele weiße Papier sehe. Es wird mir bereits schwer, die Feder zu halten, und die Manipulation des Schreibens verursacht mir Brechreiz...(1891)

Es ist fabelhaft, was ich für einen inneren Beruf zum Schriftsteller habe. Sowie ich ein Stück weißen Papiers sehe, muß ich - aufstehen und in die nächste Kneipe gehen, um mich von der Angst zu erholen, daß ich dieses weiße Papier vollschreiben soll. (1898)

Ich lebe gern und habe wohl stets mehr und freier genossen als die Mehrzahl meiner Mitmenschen. Dazu hab´ ich mich nicht immer gern bekannt – es gab eine Zeit in meinem Leben, wo ich mich meiner natürlichen Genußfreudigkeit schämte. Ich war zwar nie ein Christ, aber ich glaubte zeitweise Sozialdemokrat sein zu müssen; ich glaubte heilig werden zu müssen und erachtete es für meine Pflicht, meine Kräfte in den Dienst einer guten Sache zu stellen.

Das ist jetzt vorbei. Ich habe gelernt, daß man diese gute Sache selber ist, und seitdem bemühe ich mich, meine Kräfte in meinen Dienst zu stellen. (1896)

Otto Erich HartlebenDas Erste sei, daß man der Welt sich freue,
sich vor den anderen froh genießen lerne
in stiller Nähe, wie in bunter Ferne
das Alte frisch genieße wie das Neue.

Doch schaff dir auch ein Herz voll stolzer Treue,
eins in sich selbst und seinem tiefsten Kerne!
Der Freie traut durch Wolken seinem Sterne
Das Brandmal aller Sklaven ist die Reue.


Unterschrift

Sein Wunsch, allgemein berühmt zu werden, ist wohl nur in Stolberg auf Dauer in Erfüllung gegangen, hier kennt ihn jeder. Eine Wendung, die ihm sicher gut gefallen hätte.

(Mario Bolte)


Bildnachweis:

Oben: Illustration aus: "Vom gastfreien Pastor"  S. Fischer Verlag Berlin, 1895

Mitte:  Mit freundlicher Genehmigung des Forums für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft

Unten: Aus [1]


Literatur:

[1] Otto Erich Hartleben

Tagebuch. Fragment eines Lebens. Erste bis dritte Auflage Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst München 1906

Links:

Otto Erich Hartleben - Ein Ernestiner mit Esprit

Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft